Jochanan Trilse-Finkelstein wurde am 10.10.1932 in Breslau, dem heutigen Wrocław, geboren und verstarb am 23.3.2017 in Berlin. Er wurde auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee bestattet.
Trilse-Finkelstein (JTF) war Philosoph, Literatur- und Theaterwissenschaftler sowie Autor zahlreicher Schriften im Bereich Theater; einer seiner Publikationsschwerpunkte waren verschiedene Lexika im Bereich Theaterwissenschaften, das Werk Heinrich Heines; ein anderes
zentrales Thema war die Werkmonographie von Peter Hacks und zuletzt dessen Biographie als Lebensabschlusswerk.
JTF entstammte einem jüdischen sozialdemokratischen Elternhaus. 1933 ging die Familie ins Exil nach Wien; nach dem Reichsanschluss Österreichs – floh sie nach Prag, und gelangte 1939 über die Slowakei und Ungarn nach Triest, von dort mit einem der letzten Flüchtlingsschiffe nach Shanghai.
Die Familie lebte dort bis 1941, als sich die Eltern zur Teilnahme am aktiven Widerstandskampf gegen den Faschismus entschieden und die Familie nach Europa zurückkehrte. JTF lebte mit seinen Eltern in der Illegalität, wieder in Wien. Anfang 1943 gelang der Übergang nach Jugoslawien. Die Eltern schlossen sich als Mediziner in Slowenien bzw. Kroatien der Jugoslawischen Volksbefreiungsarmee an, auch der Sohn wurde als Zehnjähriger zum Waffendienst bei den Partisanen ausgebildet.
1946 kehrte die Familie nach Österreich zurück. Die Verwandten waren in Auschwitz, Theresienstadt und anderen NS-Lagern ermordet worden; einige blieben verschollen..
JTF besuchte das Theresianum in Wien, absolvierte 1950/51 ein externes Schauspielstudium am Max-Reinhardt-Seminar, konnte aber trotz guten Examens infolge eines Kehlkopfleidens den Schauspielerberuf nicht aufnehmen. Daher lernte er bis Ende 1952 in der Forstwirtschaft, beendete
die Lehrzeit als Forstgeselle. 1951 wurde er Mitglied der KPÖ nach Bürgschaft Ernst Fischers (bis 1969, Austritt nach Besetzung der ČSSR). 1953–1956 studierte er Philosophie sowie Literatur- und
Theaterwissenschaft an der Universität Wien, 1956/57 Gleiches in Graz; 1957 für ein Semester in Frankfurt/Main Philosophie und Sozialwissenschaft bei Theodor W. Adorno; 1957/58 setzte er das Studium bei Ernst Bloch, Hans Mayer und Walter Markov an der Karl-Marx-Universität Leipzig
(DDR) fort und beendete es mit dem Fach Sprach- und Sprechwissenschaften in Jena. Nach dem abschließenden Kurs in Theaterwissenschaft in Leipzig blieb er in der DDR, promovierte 2 Mal und habilitierte sich 1977 in Greifswald. 1985 erfolgte die Professur (Titular).
Nach Abschluss der Studien hat JTF ein Jahr als Dramaturg am Theater Güstrow gearbeitet. In Erfurt war er 1960 als Dozent an einer Fachhochschule für Architektur und Bauwesen tätig. Danach
arbeitete er bis 1966 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten für klassische Literatur in Weimar, später als Philologe und Historiker an der Heine-Säkular-Ausgabe. Von 1966–1971 war er am Henschelverlag Berlin tätig, zunächst als Lektor, ab 1967 als leitender Lektor für den Bereich Darstellende Kunst. 1972/73 arbeitete er im Aufbau-Verlag bei den „Weimarer Beiträgen“ mit. Seitdem war er als freier Autor, Herausgeber und Publizist in weitreichender internationaler Reisetätigkeit engagiert, speziell um an Theaterfestivals
teilzunehmen und Autoren für diverse Herausgaben und Lexika zu kontaktieren. 1973 wurde er Mitglied des Schriftstellerverbandes der DDR, 1986 im Verband der Autoren Österreichs (Vorsitz: Ernst Jandl), 1990 Mitglied des Verbandes Deutscher Schriftsteller der BRD;
1995 Mitglied der Academy of Sciences New York.
Den Namen Finkelstein, Geburtsname der Mutter, nahm er im Jahr 1978 an, nachdem die Mutter antisemitischen Angriffen ausgesetzt gewesen war. Bis dahin hatte er unter seinem Geburtsnamen Christoph Trilse veröffentlicht.
Jochanan Trilse-Finkelstein wurde im Frühsommer 1992 Mitglied des Jüdischen Kulturvereins, wo er von 1992 bis zu dessen Auflösung 2009 vor allem den Bereich Kulturarbeit betreute. Er gehörte zu den jüdischen Erstunterzeichnern der Berliner Erklärung Schalom 5767. 2012 erhielt er die Ehrengabe des Anna Amalia und Goethe Freundeskreises e.V. und 2015 war er Kurt-Tucholsky-Preisträger für literarische Publizistik.
JTF veröffentlichte 27 Bücher, darunter:
Geschichte der deutschen Schauspielkunst, 2 Bde, Berlin 1967;
Antike und Theater heute, Berlin 1975 (2. Auflage 1979);
Das Werk des Peter Hacks, Berlin 1982 (4 Aufl. bis 1982);
Lexikon Theater International, Berlin 1995 (5000 S., Manuskript, Hauptautor und Herausgeber);
Taschenbuchausgabe 2001 und 2003;
Gelebter Widerspruch – Heinrich Heine, Berlin 1997/1998, 2001 (Aufbau-Verlag);
Heinrich Heine und Kurt Tucholsky in Paris, Berlin 2010 (Edition Bodoni);
Jeder Tag ein Gedenktag – Jüdische Lebens- und Gesellschaftsbilder, Berlin, 2012;
Ich hoff, die Menschheit schafft es. Peter Hacks – Leben und Werk, Araki Verlag Leipzig, 2015
Mitarbeit an:
Geschichte der deutschen Literatur in 12 Bänden, Berlin ab 1960ff;
Österreichische Literatur, Einzeldarstellungen, Berlin 1988
Zudem Aufsätze, Essays, Einleitungen in den Sachgebieten deutsche, österreichische und Weltliteratur.